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Menschliche Einflüsse in der ZfP 4.0 | Interview: Marija Bertovic | Teil 1

Marija Bertovic ist Vorsitzende des DGZfP-Unterausschusses „Mensch-Maschine-Interaktion“ im Rahmen des Komitees „ZfP 4.0“ und Sekretärin der internationalen ICNDT-Fachgruppe „ZfP-Zuverlässigkeit“.

Im Jahr 2017 wurde sie für ihre Gesamtbeiträge auf dem Gebiet der ZfP mit einer Verdiensturkunde und 2018 mit dem Wissenschaftspreis der Deutschen Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung (DGZfP) ausgezeichnet.

Heute berät Marija Bertovic, wie man die menschlichen Faktoren in Zuverlässigkeitsbewertungen und -simulationen einbeziehen kann und wie man sicherstellt, dass neue Technologien (ZfP 4.0, Industrie 4.0, Wasserstoff) sich durchsetzen, nutzbar sind und angemessen eingesetzt werden können.

Marija Bertovic auf Research Gate und LinkedIn

Hier ist ein kleiner Überblick über die Fragen, über die Marija Bertovic und wir gesprochen haben:

Erster Teil des Interviews

  • Marija Bertovic: Ihr Weg zur Forscherin für menschliche Faktoren in der ZfP
  • Chancen für ZfP 4.0 und menschliche Faktoren
 
  • Zertifizierungen & POD für NDT 4.0
  • Die internationale Zukunft der ZfP
Wenn Sie sich für die menschlichen Faktoren von NDT/NDE interessieren, lesen Sie unseren Artikel: „6 Menschliche Einflüsse in der ZfP/NDE

Marija Bertovic: Ihr Weg zur Forscherin für menschliche Faktoren in der ZfP

sentin: Hallo Frau Bertovic. Wir freuen uns, dass Sie als Expertin uns und unseren Lesern, das Thema näherbringen wollen. Am besten stellen Sie sich kurz vor.

Marija Bertovic: Ich habe allgemeine Psychologie an der Universität Rijeka in Kroatien studiert und wurde bald darauf 2006 Doktorandin an der BAM Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. Dort arbeitete ich in der Forschungsgruppe „Zuverlässigkeit zerstörungsfreier Diagnosesysteme“ unter der Leitung von Dr. Christina Müller und forschte zu verschiedenen Aspekten menschlicher Faktoren bei der zerstörungsfreien Prüfung, z. B. untersuchte ich die Benutzerfreundlichkeit und Verständlichkeit der Prüfanweisung, wie Menschen unter Zeitdruck, mit anderen Menschen oder mit automatisierten Systemen arbeiten, wie Menschen Einzel- und Gruppenentscheidungen treffen und habe verschiedene Studien durchgeführt, um Risiken bei der Arbeit mit manuellen und automatisierten (mechanisierten) ZfP-Systemen zu identifizieren und Maßnahmen gegen diese Risiken zu entwickeln. Im Jahr 2015 habe ich zu diesem Thema promoviert. Im Jahr 2017 wurde ich für meine Gesamtbeiträge auf dem Gebiet der ZfP mit einer Verdiensturkunde und 2018 mit dem Wissenschaftspreis der Deutschen Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung (DGZfP) für diese Arbeit ausgezeichnet. Außerdem war ich kurz für die DGZfP und ein Jahr als selbständige Beraterin tätig, bevor ich in die BAM zurückkehrte, wo ich das Arbeitsfeld „Probabilistische Sicherheits- und Zuverlässigkeitsanalysen/Human-Factors-Analysen“ leite. Heutzutage berate ich, wie man menschliche Faktoren in Zuverlässigkeitsbewertungen und Simulationen einbezieht und wie man sicherstellt, dass neue Technologien (ZfP 4.0, Industrie 4.0, Wasserstoff) akzeptiert werden, nutzbar sind und angemessen eingesetzt werden. Ich bin Vorsitzende des DGZfP-Unterausschusses „Mensch-Maschine-Interaktion“ im Rahmen des Fachausschusses „ZfP 4.0“ und Sekretärin der ICNDT-Fachgruppe „ZfP-Zuverlässigkeit“.

sentin:In Ihrer Dissertation behandeln Sie das Thema der menschlichen Einflussfaktoren in der ZfP. Welche sind dabei die relevantesten Aspekte? Wie können diese eliminiert werden?

Marija Bertovic: – In meiner Dissertation habe ich mich mit dem Thema der Automatisierung in der ZfP beschäftigt

„Es wird weithin angenommen, dass menschliche Faktoren mit der Zunahme der Automatisierung in der ZfP eliminiert werden können. In meiner Dissertation postulierte ich, dass zwar einige menschliche Fehler eliminiert werden können, aber die Automatisierung den Fehler nicht auslöschen wird, da sie den Menschen nicht vollständig ersetzt, sondern ihn bei seiner Arbeit unterstützt, wodurch sich die Aufgabe verändert und potenziell neue Risiken und menschliche Fehler entstehen, die nicht bekannt sind. 

Menschliche Faktoren werden niemals eliminiert werden, solange Menschen an der Aufgabe beteiligt sind, sei es als Konstrukteure des Systems oder als dessen Endbenutzer. Es sollte auch nie unser Ziel sein, menschliche Faktoren zu eliminieren, da sie sich auf alle Faktoren beziehen, die den Menschen bei der Arbeit in einer Weise beeinflussen, die sich auf die Sicherheit auswirken kann, d. h. das Individuum, das Team, die Technologie, die Organisation (einschließlich der Arbeitsbedingungen) und das außerorganisatorische Umfeld (z. B. die Regularien) und ihre gegenseitigen Wechselwirkungen. 

Stattdessen sollte es unser Ziel sein, diejenigen Faktoren zu reduzieren oder zu beseitigen, die zu menschlichen Fehlern führen.“ 

Dazu gehören fehlerhafte oder nicht verständliche Prüfanweisungen, schlecht gestaltete Mensch-Maschine-Schnittstellen, schwierige Arbeitsbedingungen, schlechte Kommunikation, unklare Verantwortlichkeiten und vieles mehr.  

sentin EXPLORER Color Optimization
Schweißnaht

sentin: Sie sind als Forscherin bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Welchen Wandel sehen Sie in den kommenden Jahren für den Bereich ZfP 4.0 in Deutschland?

Marija Bertovic: Ich sehe eine zunehmende Notwendigkeit, mit den Entwicklungen in der Industrie Schritt zu halten. Die ZfP muss mithalten, weil sie ein wichtiger Bestandteil der industriellen Prozesse ist und weil neue technologische Entwicklungen Möglichkeiten bieten, ZfP-Prüfungen effizienter und zuverlässiger durchzuführen. Als Forscher sehe ich, dass die BAM diese Bestrebungen unterstützt, indem sie sowohl bei der Entwicklung dieser Systeme hilft als auch sicherstellt, dass diese Systeme zuverlässig und sicher implementiert werden

Erfahrungen und Gedanken

sentinSie forschen u.a. im Bereich Human Machine Interaction (HMI) und sind bei der DGZfP Vorsitzende dieses Arbeitskreises. Dazu habe ich ein paar Fragen:

Wie gut funktioniert die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen in der ZfP?

Marija Bertovic: Ich denke, Menschen konnten schon immer mit ZfP-Systemen gut kommunizieren. Traditionell wurde ein System in einem Labor entwickelt, auf den Markt gebracht, Menschen wurden darin geschult, es zu benutzen und Menschen und Maschinen arbeiteten mehr oder weniger gut zusammen. So kann die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen erzwungen und durch Training erlernt werden. Doch je komplexer die Technik wird, desto aufwändiger wird das Training und damit steigen die Anforderungen an die Menschen. Trotz umfangreichen Trainings werden Menschen

„in Situationen mit hohem Stress oder aufgrund von Ablenkungen wahrscheinlich intuitiv und nicht nach den gelernten Regeln reagieren 

(d.h. ein rotes Licht wird als Alarm, als Gefahr, gesehen, obwohl trainiert wurde, dass es das blaue Licht ist, das einen Alarm signalisiert). Je komplexer also die Technologien werden, desto wichtiger wird es, sowohl auf die Gestaltung der technischen Systeme als auch auf die Interaktion zwischen Menschen und den Systemen zu achten, damit die Kommunikation reibungslos funktioniert.

Meiner Erfahrung nach findet die Entwicklung und das Design von Hard- und Software in der ZfP immer noch in einem Labor statt und wird nur von einer begrenzten Anzahl von Personen getestet, bevor die Systeme im Feld eingesetzt werden. Die rasante Entwicklung der Technologien im Zeitalter von Industrie 4.0 wird zeigen, dass eine höhere Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit mit dem Produkt sowie eine zuverlässigere und effektivere Mensch-Maschine-Interaktion nur erreicht werden kann, wenn die Systeme gemeinsam mit den Endnutzern nach menschenzentrierten Gestaltungsprinzipien entwickelt werden (siehe ISO 9241-11:2018 und ISO 9241-210:2020).

sentin: Wie hoch ist die Bereitschaft mit einer Maschine/Computer zusammen zu arbeiten? In wie weit vertraut man einem Hardware- oder Software-System?

Marija BertovicVertrauen ist ein sehr komplexes Thema und hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Zum Beispiel hängt das Vertrauen in eine Technologie (Hardware oder Software) von deren Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit sowie von den eigenen Erfahrungen mit diesem System ab. Darüber hinaus kann Vertrauen durch individuelle Unterschiede in z.B. der Einstellung zur Technik, den eigenen Fähigkeiten, dem Selbstvertrauen oder dem Ausmaß der Risikobereitschaft geprägt sein. Nach dem 1986 von Davis entwickelten Technology Acceptance Model wird die Akzeptanz bzw. Nutzung des Systems durch die wahrgenommene Nützlichkeit und die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit (die beide durch eine Vielzahl externer Variablen wie z.B. Usability beeinflusst werden können) beeinflusst, die zusammen mit der Einstellung zur Nutzung die Verhaltensabsicht zur Nutzung und damit die tatsächliche Nutzung beeinflussen. Mit anderen Worten: Die Bereitschaft der Menschen, eine Technologie zu akzeptieren und mit ihr zu arbeiten, wird in hohem Maße von ihrer Benutzerfreundlichkeit beeinflusst, was wiederum die Relevanz des benutzerzentrierten Designs unterstreicht.

sentin: Welche Beispiele fallen Ihnen spontan ein, wo eine Maschine oder ein Computer dem Prüfer schon unter die Arme greift? Und wie genau können sie den Prüfer/Bewerter unterstützen?

Marija Bertovic: Bei meiner Arbeit bin ich auf Softwarelösungen gestoßen, die darauf ausgelegt waren, Fehler automatisch zu erkennen und manchmal sogar zu charakterisieren. Diese Art von Softwarelösungen wurden als Hilfsmittel für die Prüfer eingesetzt, wobei es die Aufgabe des Prüfers war, die Ergebnisse der Software zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Ich glaube, dass diese Art von Technologie dank der Fortschritte beim maschinellen Lernen bald allgegenwärtig sein wird.

Mit der Zeit sollte die Software in der Lage sein, diese Aufgabe selbstständig zu erledigen, und die Rolle der Menschen wird sich von der Überwachung dieser Systeme hin zur Lösung komplexer Probleme verändern, zu denen die Technologie noch nicht in der Lage ist.

Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung von Augmented Reality zur Visualisierung von Defekten (durch Visualisierung von Signalamplituden), die bei der Schulung der Inspektoren eingesetzt werden kann. Diese Art von Technologie wird mit Sicherheit eine breitere Anwendung in der Praxis finden, indem sie nicht nur aktuelle Defekte, sondern auch Ergebnisse vergangener Prüfungen, Beispiele aus Büchern und Prüfanweisungen visualisiert, die Kommunikation mit Personen außerhalb des Prüfortes ermöglicht und so den Prüfer bei seiner Beurteilung des Vorhandenseins eines potenziell kritischen Defekts unterstützt.

Component Annotations

Über Marija Bertovic

Marija Bertovic

Leitende Wissenschaftlerin für Menschliche Faktoren bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung

DGZfP

  • Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung
  • Wissenschaftspreis 2018

BAM

  • Koordinator der ZfP-Abteilung WG „NDT-AI“

Marija Bertovic ist eine preisgekrönte und erfahrene Forscherin auf dem Gebiet der menschlichen Faktoren in der Zuverlässigkeit der zerstörungsfreien Prüfung (ZfP). Verfolgt aktiv Projekte im Zusammenhang mit der Mensch-Maschine-Interaktion (HMI) in der Industrie 4.0 (künstliche Intelligenz, ZfP 4.0, maschinelles Lernen, Benutzererfahrung), Softwareentwicklung, Augmented Reality etc.

Vorsitzende des Unterausschusses „Human Machine Interaction“ des DGZfP-Fachausschusses ZfP 4.0; Sekretärin der internationalen ICNDT-Fachgruppe „ZfP-Zuverlässigkeit“ und Koordinatorin der ZfP-Fachgruppe WG “ NDT-AI“ (BAM)

Kompetent und erfahren in Usability Testing, Risikobewertungen, experimentellen Methoden, Menschliche Faktoren Training und Beratung.

Sie ist Trägerin des Wissenschaftspreises 2018 der Deutschen Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung (DGZfP) und immer wieder Keynote- und Plenarrednerin.

Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfverfahren (DGZfP), der Akademie NDT International und der Menschlichen Faktoren und Ergonomischen Gesellschaft – European Chapter.

Sehen Sie, wie KI in der ZfP funktioniert

Was ist der sentin EXPLORER?

Wie Marija Bertovic erklärte, werden immer mehr Menschen für den Einsatz von KI in der zerstörungsfreien Prüfung geschult. „In Situationen mit hohem Stress oder aufgrund von Ablenkungen reagieren Menschen wahrscheinlich intuitiv und nicht nach den gelernten Regeln“. Für diese Fälle gibt es Software, die die menschlichen Prüfer unterstützt. Sie sprechen von höherer Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit, wenn die rasante Entwicklung von Technologien im Zeitalter von Industrie 4.0 weitergeht. Das Vertrauen in eine Technologie hängt von ihrer Leistungsfähigkeit, ihrer Zuverlässigkeit sowie von den eigenen Erfahrungen mit dem System ab. Dies ist ein Grund dafür, dass die Bereitschaft der Menschen, ein Stück Technologie zu akzeptieren und mit ihm zu arbeiten, stark von seiner Benutzerfreundlichkeit beeinflusst wird, was wiederum die Relevanz von nutzerzentriertem Design unterstreicht. Marija Bertovic`s Gedanken über die Zukunft sind, dass die Software mit der Zeit in der Lage sein sollte, ihre Aufgaben selbständig zu erledigen.

Der sentin EXPLORER ist ein Werkzeug, um solche Prüf- oder Bildauswertungsaufgaben zu automatisieren. Unsere Kunden produzieren teilweise tausende von Bildern pro Woche, die alle zuverlässig geprüft werden müssen. Deshalb geben wir Ihnen die Möglichkeit, Auswertungen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz durchzuführen und so Fehler zuverlässiger zu finden oder neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Wenn Sie mehr über ZfP erfahren möchten: Die 5 Arten – Was ist Zerstörungsfreie Prüfung (ZfP)?

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